Über Hochsensibilität, Empathie und das Leben mit
Wildschweinen und anderen wilden Tieren
Seit ich in der südlichen Toskana am Rande des Waldes wohne, nehme ich ganz neue Facetten meiner Hochsensibilität war. Meine Nachbarn haben mich Empathie gelehrt und ich beginne zu erkennen, das es eine Kunst ist, weniger zu denken un mehr zu fühlen. Zu meinen wichtigsten Lehrern auf diesem Gebiet, zählen zweifellos die Wildschweine...
Meine wilden Nachbarn
Wenn ich bei Sonnenuntergang nach Hause komme, sehe ich von Zeit zu Zeit eine Wildschweinfamilie die Straße überqueren, die zu unserem Haus führt. Drei kleine Wildschweine begleitet von einem großen Muttertier, laufen nah beieinander. Die Hinterteile der Kleinen berühren sich manchmal und für mich sieht es so aus, als würden sie miteinander lachen und sich gegenseitig necken. Mir ist, als würde ich drei Achtjährige sehen, die nach einem Nachmittagsausflug zufrieden nach Hause gehen, in dem Wissen, dass es zu Hause warm und sicher ist und das Abendessen wartet.
Jagdzeit
Wie es möglich ist, dass sich die Wildschweine in diesem Gefühl der Sicherheit wiegen, ist mir schleierhaft. Es ist Jagdzeit und nicht wenige der borstigen Tiere, sind bereits auf den Tischen und in den Tiefkühltruhen meiner zweibeinigen Nachbarn gelandet. Aber vielleicht beobachten mich die Wildschweine ja genauso, wie ich sie beobachte. Vielleicht wissen sie, dass ich morgens die Spuren betrachte, die sie mit ihren Hufen und weichen Nasen 10 Meter von meiner Haustür entfernt in der Erde hinterlassen haben. Während ich ihre Spuren so anschaue, fühle ich ihre Zufriedenheit. Die feuche weiche Erde des Herbstes riecht würzig und ist voll von nahrhaften Leckereien. Unter den Obstbäumen finden sich noch immer ein paar essbare süße Happen und unter den Olivenbäumen Früchte, die bei der Ernte aus den Netzen gerollt sind. Diese Früchte umschließen ein herzhaftes Öl, das warm und nährend die Kehle hinabfließt. Ich schaue auf die Spuren in der Erde und fühle: Zufriedene Wildschweine.
Nachtwache
Die Tatsache, dass ich auf diese Art mit den Wildschweinen identifiziert bin, entlarvt mich vermutlich als Touristin. Wer hier Land hat und es bebaut, hegt in der Regel wenig Sympathie für die Wildschweine. Sie vermehren sich unkontrontolliert und richten immensen Schaden an. Natürlich ist es nicht Schuld der Wildschweine, dass Jäger sie aus Osteuropa hier eingeführt haben und nun nicht mehr wissen, wie sie der Situation Herr werden sollen. Für die Menschen, die hier Gärten oder Weinplantagen haben, ist es nun so, als müsse man sein Land Nacht für Nacht vor den Überfällen randalierender Banden schützen.
Wildschweine fühlen
In gewisser Weise ist das ja auch so. Aber wenn man keine eigenen Obstbäume und Weinreben hat und das Gemüsegärtchen wohlbedacht entlang der Hauswand auf der Veranda untergebracht hat, dann entwickelt man leicht eine andere Sicht auf die Dinge. Es ist einfach sehr schwierig, nicht ein gewisses Maß an Sympathie für ein Lebewesen zu entwickeln, dass man einmal auf die Art "gefühlt" hat, wie ich die Wildschweine fühle. Wenn du hochsensibel und empathisch bist, weißt du vermutlich, was ich meine. Wenn du es noch nicht bist, lies trotzdem weiter. Hier geht es nämlich darum, wie meine Sensibilität und Empathie sich verstärkt haben, als ich begann in innigem Kontakt mit der Natur zu leben. Aus meiner Sicht gibt es gute Gründe, diese Eigenschaft
en zu hegen und zu pflegen anstatt sie zu fürchten.
Ich bin nicht hier um zu kolonialisieren
Als ich nach Castel Sereno zog, gruselte ich mich eine Weile vor all den Mitbewohnern, die auch in unserem kleinen Häuschen wohnen wollten. Insbesondere mit den großen Spinnen und Tausendfüßlern fühlte ich mich anfangs ausgesprochen unwohl. Aber meine Intuition hatte eine sehr klare Ansage gemacht: "Vergiss in keinem Moment, dass du nicht hier bist, um zu kolonialisieren. Wenn du Stadtkind in dieser Natur zurecht kommen möchtest, die wilder ist als alles, was du bislang in Europa gesehen hast, dann behandle jede und jeden die du hier triffst mit Respekt und lerne sie kennen. Töte keine Tiere, und vor allem keine, die schon lange bevor du ankamst hier gelebt haben!"
Staubwedel,Tausendfüßler und Hornissen
Also lernte ich die Tiere kennen. Ich stellte fest, dass der eleganteste Weg, die flinken, empfindlichen Tausendfüßler zu vertreiben, ein Staubwedel mit langen, elektrostatischen "Haaren" war. Ich bemerkte weiterhin, dass auch Hornissen diesem Staubwedel den gebührenden Respekt erwiesen und eilig das Weite suchten, wenn er sich ihnen näherte. Ich trug Dutzende von Spinnen in Gläsern oder auf einem langstieligen Kehrblech nach draußen. Irgendwann erschreckte mich eines der besonders großen, haarigen Exemplare. Mir lief es kalt über den Rücken.
Rühr dich nicht von der Stelle!
Meine DNA schien einen Weg gefunden zu haben, mein Nervensystem über jede Begegnung zwischen Mensch und Spinne zu informieren, die jemals seit Anbeginn der Zeiten böse für den Menschen ausgegangen war. "Rühr dich nicht von der Stelle!" japste ich mit gesträubtem Nackenhaar und stolperte los, um den Besen und das langstielige Kehrblech zu greifen. Als ich zurückkam, sah ich die große Spinne, die sich flach und regungslos in eine Ecke drückte.
Wir können einander fühlen
Ich könnte noch heute schwören, dass sie Angst hatte. "Was für ein sensibles Tier!" dachte ich, als ich sie vorsichtig mit dem Besen auf das Kehrblech geleitete und nach draußen brachte. Seit diesem Tag hat sich meine Beziehung zu Spinnen verändert. Ich habe den Eindruck, wir können einander fühlen, wenn wir sensibel genug dafür sind. Ich vermute, dass alle Tiere uns "fühlen" können. Ganz sicher haben sie einen Sinn dafür, ob unser Gehirne im "Jagd- oder Kriegsmodus" sind oder ob wir gerade entspannt und friedlich sind.
Wir müssen unsere Sensibilität gegenüber äußeren Reizen reduzieren, oder?
Wir Menschen tun uns oft schwer damit, die anderen zu fühlen. Das hat einerseits damit zu tun, das unsere Aufmerksamkeit in der Regel bei dem ist, was wir denken und nicht bei dem, was wir fühlen. Andererseits haben die Lebensbedingungen unserer Zeit es zu einer Überlebensnotwendigkeit gemacht, unsere Sensibilität gegenüber äußeren Reizen und Signalen zu reduzieren. Alles andere führt zu einer massiven Überfrachtung und in der Konsequenz innerhalb weniger Stunden zu totaler Erschöpfung. Hochsensible Menschen können davon ein Lied singen. Wenn man dazu abenteuerlustig ist und leidenschaftlich liebt und lebt, bringt man es ohne weiteres auch zu ganzen Opern, die mit allem Drama des Menschlichen und Allzumenschlichen ausgestattet sind.
Und wenn wir uns erlauben würden, die ANDEREN zu fühlen?
Und dennoch - wieviel Ängste könnten wir hinter uns lassen, wenn wir uns erlauben würden, die anderen zu fühlen? Die ANDEREN. Diejenigen, die anders aussehen, anders denken und anders fühlen, die Gewohnheiten haben, die uns fremd sind und die wir vielleicht sogar abstoßend finden. (Ich fand zum Beispiel 45 Jahre meines Lebens, dass die Art der Spinnen auf acht Beinen zu laufen, einfach höchst abstoßend war. Und ich war mir vollkommen dessen bewusst, dass die Spinnen mir vor Augen hielten, dass auch ich einen Teil in mir habe, der das Fremde fürchtet, xenophob ist. )
Ich muss nicht erwähnen, dass wir Menschen Säugetiere sind, oder?
Was würde passieren, wenn wir uns erlauben könnten, weniger darüber nachzudenken, welche Meinung wir über eine bestimmte Gruppe von Insekten oder Säugetieren haben und uns statt dessen erlauben würden, sie zu fühlen? Reife, hochsensible Menschen, sind diejenigen, denen dieses Experiment am leichtesten fällt. Mit reifen hochsensiblen Menschen meine ich diejenigen, die sich dessen bewusst sind, dass sie sich der Wirklichkeit mit weniger Filtern stellen als der Durchschnitt und die in der Folge Strategien entwickelt haben, die ihne helfen, sich zu erden und ihren Geist still werden zu lassen, um auf dieser Basis schwierige Emotionen transformieren zu können.
Unsere Tiere - Meister der Kommunikation jenseits der Worte
Für mich persönlich, sind die Natur und ganz besonders die Tiere, die wunderbarsten Helfer auf diesem Weg. Ich bin immer wieder erstaunt über die Momente der Verbindung, die ich erleben darf.
Wer in enger Beziehung mit einem Tier lebt, kann täglich erfahren, wie sehr Tiere uns erden können. Wieviel leichter ist es, sich innerhalb des eigenen Körpers zu spüren, wenn man den weichen, atmenden Körper eines Tieres neben sich fühlt. Über die Jahre lehren uns unsere vierbeinigen Gefährten, wieviel Kommunikation jenseits der Worte möglich ist und wenn wir uns auf sie einlassen, führen sie uns Schritt für Schritt zu den fortgeschrittenen Lernaufgaben.
Weniger denken - mehr fühlen
Seit ich mich den Spinnen emotional ein Stück weit angenähert habe, bin ich überzeugt, dass ein friedvolles Zusammenleben zwischen mir und den anderen grundsätzlich möglich ist. Auch wenn die anderen acht Beine und die falsche Art zu laufen haben, oder gar politische Meinungen und Weltanschauungen, die meinem jüngeren ich völlig inakzeptabel erschienen wäre. Das bedeutet nicht, dass ich meine Ideale und Überzeugungen aufgebe. Es bedeutet, dass ich mich entschieden habe, weniger Meinungen zu haben und mehr zuzuhören, weniger zu denken und mehr zu fühlen. Ich will meine Hochsensibilität leben und lieben. Gerade in diesem Moment braucht unsere Welt nicht weniger Sensibilität. Sie braucht mehr Menschen, die den Mut haben, zu fühlen was sie fühlen. Die Welt braucht jene stillen Helden des Alltags, die es wagen, die anderen zu fühlen und zu erkennen, wie ähnlich wir uns trotz der scheinbar unüberbrückbarer Differenzen sind.